Kalabscha, Talmis
Um 140-130 ließen Ptolemäus VIII. Euergetes II. und seine beiden Königinnen Kleopatra "die Schwester" und Kleopatra "die Gemahlin" bei der Stadt Talmis an Stelle eines Heiligtums der 18. Dynastie aus der Zeit von Thutmosis III. bzw. Amenophis II. einen kleinen Tempel für den lokalen "Himmelsherrn, Sonnengott und Sohn des Zeus", Mandulis, errichten. Zu Mandulis gesellte sich Isis von Philae, deren Statue auf der alljährlichen Kultfahrt durch Nubien wahrscheinlich auch den Tempel von Talmis besuchte. Eine weitere Inschriften an dem Tempel stammen von Ptolemäus IX. Soter II. Das kleine Heiligtum wurde dann im Verlauf des Tempelbauprogramms des Kaisers Augustus durch einen Neubau von beachtlicher Größe ersetzt und in den Fundamenten des Nachfolgebaues verwendet. Er bestand, wie die zeitgenössischen Bauten in Ägypten aus einer großzügigen Kaianlage, einer 15m hohen Ziegelumwallung mit steinernem Pylon, die ein Geburtshaus und den Haupttempel einschloss. Dieser verfügte über einen Säulenvorhof und ein freistehendes Tempelhaus mit einer vorn offenen Pronaosfassade, die einen Blick auf die kunstvollen Kapitelle der vier Frontsäulen gewährte. Die schlanken Proportionen der 3x4 Säulen und ihre weiten Abstände sind wohl als Anpassung an die Architektur der griechisch-römischen Kunst zu verstehen. Der Pronaos ist dem eigentlichen Tempelhaus angefügt. Dahinter folgen Gastgötter-, Opfertisch- und Kultbildraum. Der Tempel besitzt, wie die größeren Tempel von Kom Ombo, Edfu und Dendera, eine Dachkapelle sowie in den Wänden versteckte Krypten. Bedeutungsmäßig reicht der Kalabscha - Tempel nicht an die zeitgenössischen Tempel wie Philae, Kom Ombo, Edfu, Esna oder Dendera heran, zumal Inschriften und Dekorationen unvollendet geblieben sind. An Größe übertrifft er aber selbst Abu Simbel (Länge des Tempelhauses 77, gesamter Bezirk 66 x 92m). Die Bauaufnahme zur Verlegung des Tempels von 1961 ergab genaueste Bauabmessungen und ein fachmännisch angelegtes Proportionssystem der Bauteile.
Der Tempel wurde durch Erdbeben und menschliche Eingriffe schwer beschädigt. Seine Ruine bot jedoch, umgeben von Palmen und Akazien, vor der Felskulisse der nubischen Berge einen prachtvollen Anblick. Die düstere Farbe des nubischen Sandsteins, die heute das Aussehen des Tempels prägt, war teilweise noch bis 1924 durch eine farbenprächtige Bemalung verdeckt, unter der besonders Lila. Ultramarinblau und Gold hervortraten. Der Tempel wurde 1961-1963 mit deutscher Hilfe (durch die Firma Hochtief AG Essen) auf eine Anhöhe auf dem Westufer des Nils südlich von Philae verlegt und restauriert. Die beim Abbau aufgefundenen Blöcke des Vorgängerbaues konnten auf der Südspitze von Elephantine zu einer kleinen Kapelle zusammengefügt werden. Ein in den Fundamenten verbauter, nahezu vollständig erhaltener ptolemäischer Torbau wurde der Bundesrepublik geschenkt und 1973 im Ägyptischen Museum Berlin-Charlottenburg wieder errichtet.
Literatur: D. Arnold, Die Tempel Ägyptens (Zürich 1996) in: 87-88; Gau, Antiquités, Taf. 17-22; Henri Gauthier, Le temple de Kalabcha (Kairo 1911-1914); Hans Stock und Kurt Georg Siegler, Der größte Tempel Nubiens und das Abenteuer seiner Rettung (Wiesbaden 1965); Kurt Siegler, Kalabscha Architektur und Baugeschichte des Tempels (Mainz 1970); G. R. H. Wright, Kalabsha: The Preserving of the Temple (Berlin 1970); Dieter Arnold, Die Tempel von Kalabscha (Kairo 1975); G. R. H. Wright, The Ptolemaic Sanctuary of Kalabsht Its reconstruction on Elephantine Island (Mainz 1987); Lexikon der Ägyptologie Bd. III (1975).
[Abb. N71] Blick von der Pronaosfassade zum allerheiligsten des Tempel
[Abb. N72] Detail aus dem Eingangsbereich
[Abb. N73] Rekonstruktion des Tempel (Pronaosfassade)
[Abb. N74] Rekonstruktion des Tempel (Längsschnitt)
Danke an Ursula Selzer für Ihre Fotos.