Elephantine
[Abb. N128] Ausblick Richtung Nordwesten, im Hintergrund befindet sich die Tempel der 11. & 12. Dynastie
Die fremdartig dunklen Granitformationen von Assuan bezeichnen die natürliche Südgrenze Ägyptens. Dem heutigen Ort gegenüber, auf der Südspitze einer Insel, lag die Stätte der kleinen, aber bedeutenden Ansiedlung Elephantine (Abu), deren Anfänge bis in das frühe Alte Reich zurückreichen und deren Name auf ihre Bedeutung als wichtiger Stapelplatz für Elfenbein und andere Güter aus dem Süden hinweist. Ein Gewirr von engen Gässchen des von einer starken Ringmauer umgebenen Ortes legte sich um die Heiligtümer der Stadt. Haupttempel der Stadt war der große Tempel des Chnum, des Herrn des Fruchtbarkeit spendenden Überschwemmungswassers. Vom Tempel der Thutmosidenzeit sind nur noch einige Blöcke erhalten. Der letzte Bau stammt von Nektanebos II., von dem allerdings nur noch die Fundamentplatte und Reste eines Tores vorhanden sind. Ein vorn offener 2 x 6 Säulen-Pronaos wurde unter Philippus Arrhidäus angebaut und in römischer Zeit ein weiter Säulenvorhof mit einem 48m breiten Pylon vorgelegt, womit der Tempel eine Länge von 123m erreichte. Die archäologische Bedeutung dieses Vorhofes liegt darin, dass hier dank genauer Studien des Pflasters gezeigt werden konnte, wie ein ägyptischer Tempelhof während seiner Benutzung aussah: Er war mit etwa dreißig Statuen, Stelen, Obelisken und Altären angefüllt und würde auf uns den Eindruck eines Lapidariums eines Museums gemacht haben. Daneben lag auf tieferem Niveau der etwas kleinere Tempel der Antilopengöttin Satet, aus dessen Resten die typische Entwicklung eines ägyptischen Heiligtums verfolgt werden konnte. Sie begann mit einem primitiven Höhlenheiligtum in der Zeit des frühen Alten Reiches. Es bestand aus einer Kultnische zwischen großen Granitfelsen mit einem davor gelegenen Ziegelsockel zum Abstellen des tragbaren Kultbildes. Im Boden beigesetzt wurden Hunderte von kleinen Fayencefiguren in Menschen- oder Tiergestalt und andere Objekte gefunden, die in das Heiligtum gestiftet worden waren. Dieser Kulthöhle folgte ein primitives Tempelchen der 6. Dynastie (Pepi I., Merenre und Pepi II.) und ein fein dekorierter Kalksteinbau Sesostris' I. (12. Dynastie) Teile von letzterem konnten inzwischen wieder zusammengesetzt werden. Darüber errichtete Hatschepsut einen Tempel mit Pfeilerumgang, der in den letzten Jahren aus noch erhaltenen Reliefblöcken fast vollständig wiedererrichtet werden konnte. Vom darüber folgenden ptolemäischen Tempel waren nur noch Fundamentreste erhalten, die immerhin erkennen lassen, dass der Bau an der Front mit dem üblichen, offenen Pronaosabschloss. Weiter westlich im Stadtinneren lag das für die Geschichte der Entwicklung ägyptischer Kultstätten wichtige Hekaib-Heiligtum. Ursprünglich ein offener Kulthof mit zwei Statuenkapellen vom Gaufürsten Sarenput I. in der Zeit Sesostris' I. für den Kult eines Vorfahren namens Hekaib und für seinen eigenen Kult errichtet. Sarenput II. und seine Nachfolger in der 12. Dynastie fügten dann ihre eigenen Schreine an, so dass dieses Ka-Statuenhaus am Ende des Mittleren Reiches mindestens zehn Kultbildschreine und etwa sechzig Statuen umfasste. Letztere stellen den bedeutendsten Komplex ägyptischer Tempelplastik des Mittleren Reiches dar, der bisher gefunden wurde. Nur durch Darstellungen des frühen 19. Jahrhunderts ist eine wunderschöne Stationskapelle Amenhoteps III. überliefert. Auf hohem Podest erhob sich der Barkenschrein mit einem Pfeilerumgang. Trotz ihres phantastischen Erhaltungszustands wurde diese Kapelle zusammen mit einer weiteren Ramses' II. nach 1837 durch den lokalen Statthalter als Baumaterial abgebrochen. Auf der Insel werden seit 1969 vom Deutschen Archäologischen Institut und dem Schweizerischen Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde, Kairo, bedeutende Grabungs- und Restaurierungsarbeiten unternommen.
Literatur: D. Arnold, Die Tempel Ägyptens (1996) in: 94-95; Description, Bd. I, Taf. 34-38; Prisse d'Avennes, Histoire de l'art egyptien (Paris 1878) Taf. II; Herbert Ricke, Die Tempel Nektanebos' II. in Elephantine (Beiträge Bf6 Kairo 1960); Horst Jaritz, Die Terrassen vor den Tempeln des Chnum und der Sätet (Mainz 1980); Peter Grossmann, Kirche und spätantike Hausanlagen im Chnumtempelhof (Mainz 1980); Ch. Habachi, The Sanctuary of Heqaib, 2 Bde. (Mainz 1985); Günter Dreyer, Der Tempel der Satet. Die Funde der Frühzeit und des Alten Reiches (Mainz 1986); Friedrich Junge, Funde und Bauteile (Mainz 1987); Van Sielen III, Remarks on the Tuthmoside Temple of Khnun at Elephantine, in: Varia Aegyptiaca 6 (1990) 188-194; H. Jaritz u. a., Stadt und Tempel von Elephantine, in: MDAIK 46 (1990) 190-195; Lexikon der Ägyptologie (1975) 1221-1224.
[Abb. N129] Blick auf den rekonstruierten Satettempel der 18. Dynastie. Links davor befindet sich der Abgang zum Felsenheiligtum der 6. Dynastie