Die Nachbildung der Grabkammer

Übersicht
[Abb. S65] Aufnahme von Heinz-Peter Gerber aus dem nachgebildeten Grab

Die Entscheidung, den Pfeilersaal im Grab des Sen-nefer nachzubilden, fiel bei einem Treffen der Ägyptologin Christiane Desroches Noblecourt und Michel Duc als Repräsentanten von Kodak-Pathe im Sommer 1982 in Paris. Hier wurden die Grundlinien des Projekts und die einzelnen Schritte zur Realisierung festgelegt. Die wichtigste erste Phase bestand in der Gewinnung einer vollständigen Photodokumentation des nachzubildenden Raumes, die selbstverständlich nur am Original, also im Grab des Sen-nefer, zu gewinnen war. Deshalb wurde zunächst ein Team von Photographen und Vermessungstechnikern nach Ägypten geschickt.

Zunächst wurde das Grab gereinigt, was zum Beispiel bedeutete, dass jeder der vielen Schmutzeimer über 44 Stufen hinauf ins Freie getragen werden musste. Ein besonderes Problem bildete dabei der feine Staub, der nicht nur auf dem Boden lag, sondern, durch die zahllosen Besucher aufgewirbelt, sich an den Unebenheiten der Wände sowie an den durch Salzinfiltration entstandenen Gesteinsblasen festgesetzt hatte, so dass sich häufig in Verbindung mit Kondensationswasser sogar regelrechte feste Krusten gebildet hatten. Die Reinigung übernahm die ägyptische Antikenverwaltung. Dabei kamen unter dem brüchigen antiken Putz die noch mit Gitternetzlinien versehenen Umrisse von zwei bis dahin unbekannten Frauenbildnissen zum Vorschein. Mit Überraschung stellten wir fest, welche Leuchtkraft den Jahrtausende alten Malereien zurück gewonnen werden konnte. Unvermeidliche Verzerrungen entstehen einmal durch die Optik der Objektive, zum anderen aber vor allem aus Gründen der Perspektive, da keine einzige Wand wirklich eben ist. Um dennoch so korrekt wie möglich ablichten zu können, mussten vor allem die Anschlussstellen genau beachtet werden. Die belichteten Filme wurden vom Photographen zweimal am Tage nach Luxor gebracht, wo die Kassetten in einem staubfreien Labor gewechselt wurden.

Marcel Kurz
[Abb. S66] Marcel Kurz bei photographischen Arbeiten

Währenddessen erarbeitete unser Vermessungsingenieur mit Theodoliten, Wasserwaage, Meßlatten und Bandmaß Tausende von Messdaten. Die dreidimensionale Aufnahme der Wände gestaltete sich besonders schwierig. Da wir auf die Anwendung photogrammetrischer Techniken verzichtet hatten, galt es, die Unebenheiten der Oberflächen mittels eines Feldes von Punkten festzuhalten. Ihre genaue Position im Raum wurde im Verhältnis zu einem System imaginärer Bezugspunkte ermittelt. Als Grundlage diente eine Horizontalebene aus 25 cm Quadraten und lotrechten Ebenen darüber. Der nachzubildende Raum ist ein einfaches Viereck mit einer Seitenlänge von etwas weniger als 7 m. Die Seitenlängen der Pfeiler betragen etwas mehr als 1m, wobei die Höhe zwischen 2,20m und 2,80m variiert. Die bildfreie Sockelzone über dem Boden umfasst ungefähr 42m2. Nachdem der Grundriß der Grabkammer erstellt war, fertigte der Vermessungsingenieur die Deckenschnitte, indem er über den Schnittstellen des Fußbodenrasters die Höhen maß. Die Form der Wände und Pfeiler wurde summarischer durch Einmessung charakteristischer Punkte ermittelt. Die Fülle der Messdaten musste durch beschreibende Informationen ergänzt und die Aufnahmen der Positivfilme durch Diapositive im Sinne von Kontrollbildern erweitert werden. Zur Bestimmung des Vergrößerungskoeffizienten wurden für jedes Photo zwei unabhängig voneinander gewonnene Messdaten zwischen identifizierbaren Details zugrunde gelegt. Als wir nach Paris zurückkehrten, bargen unsere Koffer unzählige Skizzen, Hefte voller Zahlen sowie Kästen mit Planfilmen und Dias im Format 24 mal 36cm. Auf der Grundlage dieses Materials wurde der technische Bericht vorbereitet. Während in Paris die Photoarbeiten liefen, um mehr als 500 so genannte "Abziehbilder" zu gewinnen, machte sich in Villeurbanne das auf die Herstellung von Theaterkulissen spezialisierte Unternehmen Unite Theätrale an die "Konstruktion" der neuen Grabkammer. Dieses Unternehmen hatte sich bereits bei der Nachbildung des "Saals der Stiere", einem Teil der Höhle des Lascaux, bewährt. Dabei konnte mit einem von Kodak-Pathe neu entwickelten Spezialmaterial experimentiert werden: Wände und Pfeiler wurden aus einer Masse dicker Polystyrenplatten modelliert und die Decke durch das Zusammenfügen von 25cm breiten Platten des gleichen Materials gebildet, und zwar Längsschnitt an Längsschnitt. Großen Vorteil bietet die Leichtigkeit des neuen Materials, weil auf diese Weise nur wenige große Strukturelemente hergestellt werden müssen, im Fall Sen-nefer kamen wir mit nur 13 aus. Die einzelnen Elemente wurden auf der Rückseite mit Stoff bespannt, auf der Vorderseite aber mit einem Harz überzogen, dessen Granulierung die leichte Rauheit des pharaonischen Originals nachahmt. Die Größe der "Blöcke" garantiert zugleich die Festigkeit der Konstruktion. Nachdem auf diese Weise der "Bau" erstellt war, arbeiteten "Skulpteure" die Feinheiten der Oberfläche gemäß den Unebenheiten des Originals aus.

Nachbau
[Abb. S67] Nachbau der Grabkammer

Mit Hilfe von Zweitabzügen wurden dann die später aufzubringenden "Abziehbilder" auf den Flächen genau platziert. Schon während dieses Arbeitsganges wurde auch für die Beleuchtung Vorsorge getroffen, indem man Nischen für die Lichtkästen am Fuß der Wände eintiefte. Nach nochmaliger Grundierung wurde das Ganze nach Aubervilliers geschickt, wo die endgültige Montage der "Abziehbilder" stattfinden sollte.

herstellung Bilder
[Abb. S68] Herstellung der Abziehbilder

Von den Planfilmen bis zu den Abzügen waren mehrere Zwischenschritte zurückzulegen. So wurden von den Kodak-Ektachrom-Filmen Zwischennegative hergestellt und Vergrößerungen gefertigt, die dann mosaikartig so geschnitten wurden, dass man keine wesentlichen Bildelemente durchtrennte. Die einzelnen Teile waren dabei nicht größer als 60 x 80cm. Die Übertragung der Farbphotographien auf den unebenen Untergrund des nachgebildeten Grabes erfolgte nach einem Verfahren, bei dem die nur wenige Tausendstel Millimeter dicke Emulsionsschicht des Photos allein, d. h. ohne den üblichen kunststoffgebundenen Papierträger, aufgebracht wurde. Dabei war es zunächst notwendig, auf die Emulsionsschicht des farbigen Papierbildes ein "Transferpapier" zu kleben, um sodann den Bildträger mit erwärmten Lösungsmitteln abtrennen zu können. Die farbige Emulsionsschicht haftete danach seitenverkehrt auf dem Transferpapier und konnte im nassen Zustand auf die künstlichen Wände appliziert werden. Durch Wasser ließ sich das Transferpapier ohne Schwierigkeiten ablösen, während die dünne, gelatinehaltige Emulsionsschicht seitenrichtig auf dem neuen Untergrund haften blieb.

Maria Degoutte
[Abb. S69] Maria Degoutte beim Ablösen der Trägerschicht

Schrittweise bildeten so die Techniker den Wanddekor, die Vignetten der Pfeiler und schließlich die Decke nach. Trotz weitgehender Vermeidung von Verzerrungen mussten kleine Abweichungen durch Retuschen korrigiert werden. Nachdem auch die Fugen geschickt kaschiert wurden, kann sich der Besucher der Illusion hingeben, in der Grabkammer mit der Weinlaube in Qurna zu stehen.

Derzeit ist die Nachbildung im Römer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim ausgestellt. Die Nachbildung geht aber immer wieder für Sonderausstellung auf Reisen. So wie 2001, wo die Grabkammer bei der Landesausstellung in Leoben ausgestellt wurde.

Literatur: Sen-nefer Die Grabkammer des Bürgermeisters von Theben (Verlag Philipp von Zabern 1986)

Danke an Heinz-Peter Gerber für seine Bilder und der Hilfe zu dieser Seite.