Ammoneion von Siwa

In Siwa erhebt sich auf einem 10m steil aufragenden "Berg" der berühmte Orakeltempel des Amun. Der Tempel nimmt den höchsten Platz auf dem Bergplateau ein und teilt das Areal in zwei Hälften. Westlich neben dem Tempel lagen die Palastanlagen des Oasenkönigs, in der Nordostecke wohl der Frauenbezirk für die Königin und den Harem, davor im Südosten die Priesterwohnungen und Kasernen. Heute breiten sich über den Tempelberg die Ruinen des ausgestorbenen Ortes Aghurmi aus. Grabungen größeren Stils wurden wegen der abseitigen Lage des Ortes noch nicht unternommen. Dank einer eingehenden Studie von K. P. Kuhlmann gewinnen wir jedoch eine Vorstellung des antiken Ammoneion. Die Bedeutung des Tempels liegt weniger in seiner Architektur als in Kult und Geschichte. Wahrscheinlich waren es die thebanischen Amun-Priester des Neuen Reiches, die hier eine Zweigstation ihres Gottes bauen ließen. Der heute erhaltene Bau wurde wahrscheinlich erst unter dem großen Tempelstifter Amasis um 570 v. Chr. errichtet. Trotz seiner ägyptischen Grundzüge sprechen viele Einzelbeobachtungen (Bautechnik, fehlende Eckrundstäbe, vertikale Wände usw.) dafür, dass der Bau von griechischen Handwerkern aus der Kyrenaika, jedoch in der Tradition der ägyptischen Oasenheiligtümer hergestellt wurde. Das Tempelhaus ist 15 x 51,6m groß. Es weist wie alle Oasentempel einen auffällig lang gestreckten Grundriß auf. Vorweg befindet sich ein offener Vorhof, auf den sich die Tempelfassade in Gestalt eines Säulenpronaos öffnet. In Hof und Pronaos standen wohl die literarisch erwähnten Votive dankbarer Orakelempfänger. Dahinter folgte ein Innenraum mit zwei Pfeilern und das Sanktuar. Westlich schließt sich ein Saal an, in dem möglicherweise die Orakel verkündet wurden. Denn die Orakel wurden nicht von einem "sprechenden" Kultbild, sondern vielmehr (wie auch sonst in Ägypten) schriftlich oder bei Prozessionen durch die Bewegungen der Barke erteilt. Um solche Anfragen zu belauschen und passende Antworten vorzubereiten, war über dem Sanktuar ein über einen Geheimgang zugängliches Versteck angelegt. Der Tempel war 331 v. Chr. Ort des denkwürdigen Besuchs Alexanders des Großen, der hier von der Priesterschaft als Sohn Gottes begrüßt wurde, was ihm die unmittelbar danach erfolgte Übernahme der ägyptischen Königswürde erleichterte. Welche Frage er Amun vorlegte und welche Antwort er darauf erhielt, ist ein Geheimnis geblieben. Wenige hundert Meter südlich sind die Reste eines zweiten Tempels, Umm Ubaida, mit einem Säulenpronaos und mehreren dahinter folgenden Räumen erhalten. Beide Tempel waren wohl mit einer Prozessionsstraße verbunden und kultisch aufeinander bezogen.

D. Arnold, Die Tempel Ägyptens (Augsburg 1996), Seite: 191-192; Klaus P. Kuhlmann, Das Ammonieion (Mainz 1988)

Ammoneion
[Abb. O12] Reste des Ammoneion in der Oase Siwa.

Ubaida
[Abb. O13] Details der Reliefs an einer der wiedererrichteten Mauern des Tempels von Umm Ubaida.

Fotos: J. Willeitner, Die Ägyptischen Oasen (2003) Seite: 127 - 128